Geflüchtete auf Augenhöhe einbeziehen

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Geflüchtete auf Augenhöhe einbeziehen

In den letzten Monaten wurde viel geschrieben über die Einrichtung neuer Unterkünfte für Geflüchtete, die in Deutschland Asyl suchen. Häufig lag das Augenmerk dabei auf den »Befindlichkeiten« der lokalen Bevölkerung. Kaum zu Wort kamen allerdings die Flüchtlinge selbst.

Von Joschka Fröschner

Die derzeitige Asyldebatte in Deutschland wird von zwei Fragen bestimmt: Zum einen geht es um die Thematisierung von Ängsten, die mit einer Veränderung des eigenen Umfelds einhergehen, und die Neonazis teilweise erfolgreich für ihre Hetze instrumentalisiert haben. Zumanderen wird die Möglichkeit diskutiert, Weltoffenheitpraktisch in die Tat umzusetzen. Beide Punkte betreffen alleine die Perspektiven der lokalen Bevölkerung. Dass die Geflüchteten, die soeben in Heime eingezogen sind, nach traumatischen Erfahrungen von Flucht und Protest bei ihrer Ankunft nicht öffentlich politische Forderungen stellen, ist wenig verwunderlich. Es gibt gleichwohl viele Geflüchtete, die in Bündnissen ihre Stimme erhoben haben. Hier ist u.a. der »Refugee Strike« zu nennen, der im vergangenen Jahr mit Protestzelten und Protestmärschen von Bayern ausgehend seinen Anfang nahm.


Eigenständige Proteste von Flüchtlingen

Genauso gibt es aber Gruppen, die jenseits dieser Protestbewegung im Alltag der Flüchtlinge aktiv sind, wie etwa »Refugees Emancipation« in Brandenburg, die Kampagne »Stop It!« in Mecklenburg-Vorpommern oder die Flüchtlingsinitiative Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Geflüchtete selbst organisieren füreinander Sprach- und Computerkurse, geben Selbsthilfe- und Orientierungsworkshops, um einander über ihre Rechte aufzuklären, schaffen Bildungsangebote und Möglichkeiten, durch das Internet die Isolation zu bekämpfen. Asylsuchende auf Augenhöhe einbeziehen kann also nicht heißen, dass Geflüchtete erst durch die Hilfe der deutschen Bevölkerung zu Akteur/innen werden. »Auf Augenhöhe« muss heißen, Geflüchtete als eigenständig Handelnde mit eigenen Zielen und Vorstellungen über den Weg dorthin zu akzeptieren. »Einbeziehen« kann bedeuten, die von ihnen geschaffenen Organisationen zu unterstützen, anstatt zu erwarten, dass sie sich in bestehende einfügen. Vor allem aber ist es wichtig zu begreifen, dass »Einbeziehen« zunächst erfordert, Kontakt miteinander auf einer ganz alltäglichen Ebene aufzubauen. Um diesen Kontakt zu schaffen engagieren sich Geflüchtete bundesweit. Im Fokus stehen also Aktivist/innen, die nicht etwas für Andere fordern, sondern für ihre Rechte als Geflüchtete einstehen, ihre eigenen Ziele formulieren, und die ihrem Protest die Form des Ausdrucks verleihen, die sie für richtig halten. Dies ist allerdings nicht erst so, seitdem sich die Non-Citizens des »Refugee Struggle for Freedom« von Würzburg aus auf den Weg machten. Flüchtlingsinitiativen haben sich auch schon in den vergangenen Jahrzehnten organisiert, gegen Residenzpflicht und für die Schließung von Heimen gestritten. Auch das Karawane-Netzwerk spielt für die Selbstorganisation von Geflüchteten eine wichtige Rolle – im April 2013 gründete sich auch die »Karawane Flüchtlingsfrauenbewegung«.

Trotz aller Unterschiede: Gemeinsam aktiv werden.

Um den Anspruch einander auf Augenhöhe zu begegnen verwirklichen zu können, darf nie in Vergessenheit geraten, dass die Flucht und Asylsuche alleine nicht die Identität eines Menschen beschreiben kann. Jede/r Geflüchtete hat ihre/seine eigenen Lebenserfahrungen, Flucht-,Vertreibungsgründe und Fluchtbiografie. Geflüchtete unterscheiden sich in ihrem Alter, Aufenthaltsstatus, Geschlecht und ihrer sexuellen Orientierung, wodurch sich unterschiedliche Problemstellungen ergeben. Beispielsweise ist es für Menschen, die sich ohne behördliche Registrierung in Deutschland aufhalten, kaum möglich auf Demonstrationen zu gehen und auf ihre Situation als Illegalisierte aufmerksam zu machen. Allerdings schaffen die Erlebnisse in Deutschland auch Berührungspunkte, auf denen das gemeinsame Engagement fußt, egal ob in Berlin, Parchim oder Boizenburg. So ist es kein Zufall, dass der Protestmarsch nach Berlin in Würzburg startete. Dort erhängte sich im Januar 2012 der 29-jährige geflüchtete Mohammad Rahsepar. Genauso wenig kann es überraschen, dass sich gerade in Bitterfeld Asylsuchende zusammengefunden haben, um gegen den Zustand ihrer Unterbringung und ihre Isolation zu protestieren: »Diese Lager tragen zu unserer Zerrüttung und Traumatisierung bei, ungeachtet der psychischen Krankheiten, die uns im Landkreis zugefügt wurden«, formulierten es die Flüchtlinge von Bitterfeld in einer Presseerklärung. Vom Heim benötigen die Bewohner/innen 30 Minuten zum nächsten Bahnhof, es gibt Rassismus-Vorwürfe gegen die Heimleitung, und die medizinische Versorgung im Umkreis ist so schlecht, dass die Bewohner/innen der Unterkunft in Bitterfeld hierin einen Grund für den Tod ihres Mitbewohners Saizon Cosmo sehen. Die Ziele und Forderungen, bei allen lokalen Unterschieden, gleichen sich bei fast allen Geflüchteten. Immer wieder wird die Isolation durch die Unterbringung betont, ebenso wie der Wunsch, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Dies äußert auch Touré Dramane von der Flüchtlingsinitiative Wittenberg: »Vor allem zählt die Präsenz [von Unterstützer/innen] in den Lagern und auf den Protestcamps. Einerseits, weil es die Aufmerksamkeit von anderen Deutschen auf sich zieht,andererseits können sie direkt mit den Flüchtlingen in Kontakt kommen und ihre Lebensbedingungen kennenlernen. Diese Erfahrungen kann man dann weiter verbreiten, damit andere merken, dass die Infos, die sie von anderer Seite haben, einfach nicht stimmen. Auch der Stopp von Zwangsdeportationen und die Kritik an Gesetzen sind Teil der Agenda der Geflüchteten. Das »The VOICE Refugee Forum« nennt zudem alltäglichen und behördlichen Rassismus, rassistische Polizeikontrollen und den Protest gegen Menschenrechtsverletzungen in Heimatländern und in Deutschland als wichtige Eckpfeiler und Grund seines Engagements.

Selbstbewusstsein durch Selbstorganisation

Die Geschichte der Selbstorganisation von Geflüchteten und der Proteste zeugen von der Kreativität, dem Mut, und der Ausdauer aller Beteiligten. Denn politisch aktiv zu werden zieht häufig den Widerstand von Heimleitungen, Angriffe durch Nazis oder Repression durch Behörden nach sich. Durch den Aktivismus haben sich Geflüchtete befähigt, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein zu gewinnen, sich gegenseitig über ihre Rechte aufzuklären und einander zu unterstützen. Auch die Camps von Geflüchteten, die nicht nur in Berlin-Kreuzberg, sondern bundesweit von Passau bis Bramsche-Hesepe entstanden sind, erfüllen diesen Zweck und eröffnen die Möglichkeit des Kontakts untereinander und mit der deutschen Zivilgesellschaft: »Ja [wir haben mehr Selbstbewusstsein], weil, vorher kannte uns wirklich keiner. Wir waren total isoliert und jetzt durch dieses Treffen sind wir rausgekommen aus den Lagern. Und wir kannten auch vorher nicht die Regeln und die Gesetze hier in Deutschland. Und wir haben jetzt einfach auch keine Angst mehr, weil wir uns besser auskennen. Wir haben aber schon festgestellt, als wir versucht haben, uns zu mobilisieren, und als wir auch mit anderen Asylbewerbern sprachen aus anderen Lagern, dass viele Angst haben und sich nicht raus trauten, weil sie auch ihre Rechte nicht kennen. Und immerhin ist es jetzt so, dass wir uns für den Kampf auch besser organisiert haben«, beschreibt Mohammed vom Camp in Kreuzberg diese Entwicklung in einem Beitrag von »Deutschlandradio Kultur«. Bundesweit sind im vergangen Jahr zehntausende Menschen den Aufrufen von Geflüchteten und Unterstützer/innen gefolgt und sind auf die Straße gegangen, um für Flüchtlingsrechte und gegen das europäische Asylsystem zu protestieren. Angesichts des widrigen Umfelds und den erfahrenen Traumatisierungen vor und nach der Flucht, ist es mehr als angebracht, den Geflüchteten für ihren Mut Respekt zu zollen, ihnen zuzuhören und sie bei ihren Aktionen zu unterstützen – sie eben als Akteur/innen auf Augenhöhe einzubeziehen.

Quelle: Broschüre "Refugees Welcome - Gemeinsam Willkommenskultur gestalten"